Kulturen der Wirtschaft. Unternehmer, Unternehmerinnen und Unternehmertum in Oberschwaben zwischen Spätmittelalter und Moderne

Organizer(s)
Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur; Fachbereich Geschichte, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart; SFB 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Tagungshaus Weingarten)
Hosted by
Tagungshaus Weingarten
Funded by
Stiftung Oberschwaben
ZIP
88250
Location
Weingarten
Country
Germany
Took place
In Attendance
From - Until
09.11.2023 - 11.11.2023
By
Ariane Schmalzriedt, Neu-Ulm

Bei der von Georg Eckert (Freiburg), Johannes Kuber (Stuttgart) und Dietmar Schiersner (Weingarten) konzipierten Tagung stand die Kulturgeschichte des Unternehmertums im Mittelpunkt des Interesses. Dass die Wahl des Untersuchungsraums auf Oberschwaben fiel, ist dabei unter anderem dem historischen Raumverständnis der Gesellschaft Oberschwaben, einem der beiden Veranstalter der Tagung, geschuldet. Ausgehend von einem regionalgeschichtlichen und epochenübergreifenden Ansatz wurde auf die Frage fokussiert, inwiefern die hier angesiedelten Wirtschaftsakteure und ihre Unternehmungen etwas spezifisch Oberschwäbisches aufweisen. Dabei ging es nicht nur um das ökonomische Engagement der vielgestaltigen Akteure, sondern ebenso um deren Selbst- und Fremdwahrnehmung, ihre Netzwerke und „Kontaktzonen“, die weit über Oberschwaben hinausreichten.

Einführend erläuterte GEORG ECKERT (Freiburg) die Konzeption einer regional verankerten Wirtschaftskulturgeschichte, in deren Mittelpunkt er die Begriffe „Oberschwaben“ und „Unternehmertum“ stellte. Der Raum Oberschwaben, so führte Eckert aus, zeichnete sich bereits seit dem Mittelalter durch eine große Vielgestaltigkeit an politischen Herrschaften aus, gleichzeitig stellte er eine bedeutende wirtschaftliche Transitzone dar. Fließende Stadt-Land-Übergänge und auch religiös-konfessionelle Unterschiede sorgten für eine zusätzliche Dynamik im Wirtschaftsgeschehen. Oberschwaben stelle somit keine einheitliche Wirtschaftslandschaft dar, sondern einen vielfältigen Wirtschaftsraum. Dieser Umstand, so Eckert, werfe die Fragen auf, wie die Akteure untereinander in Beziehung traten, welche Netzwerke sie ausbildeten und wie sowohl wirtschaftlich-materielle als auch mentale Grenzen überwunden wurden. Da die Begriffe „Unternehmertum“ beziehungsweise „Unternehmer“ nicht eindeutig zu definieren seien, schlug Eckert vor, insbesondere nach den Handlungsspielräumen der einzelnen Akteure, nach ihren Praktiken sowie handlungsleitenden Theorien und den Veränderungen dieser im Laufe der Zeit zu fragen.

Mit der Frage, was unter einem Unternehmer zu verstehen ist, knüpfte BORIS GEHLEN (Stuttgart) an die Ausführungen seines Vorgängers an und führte aus, dass der „erfolgreiche Unternehmer“ – eine neue Form der Heroisierung – zwar von funktionalem Interesse für die Wirtschaftswissenschaften sei, von historischer Seite bislang jedoch kaum Interesse an seiner ökonomischen Funktion bestanden habe. Vielmehr sei der Unternehmer – im Kontext von Bürgertums- und Elitenforschung – als Sozialfigur gesehen worden. Noch immer herrsche mit Blick auf bestimmte Unternehmerpersönlichkeiten die Heroisierung und Mystifizierung als Leiterzählung vor. Einen Zugriff auf genuin historische Fragestellungen böten auch die wirtschaftstheoretischen Definitionen von Unternehmertum nicht, da ihnen die zeitliche Dimension fehle. Eingedenk der unterschiedlichen Definitionen, Topoi und Narrative sollte die Erforschung von Unternehmertum deshalb, so Gehlen, im historischen Kontext unter Einbeziehung kulturhistorischer Aspekte sowie der Integration von Genderperspektiven erfolgen.

WOLFGANG SCHEFFKNECHT (Lustenau) eröffnete die Sektion 1 „Oberschwaben und die weite Welt: Unternehmertum als Praxis“, indem er am Beispiel der Lustenauer Stickereifabrikanten darlegte, wie deren wirtschaftliche Unternehmungen im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zum politischen und kulturellen Wandel der bäuerlichen Gemeinde Lustenau beitrugen. Als wichtigste örtliche „Industriepioniere“ traten die Gebrüder Hofer in den 1860er-Jahren mit der Anschaffung der ersten Handstickmaschine in Erscheinung. Sie entstammten der dörflichen Oberschicht und verfügten sowohl über familiäres Startkapital als auch Bonität bezüglich der Finanzierung ihrer Maschinen durch Kredite. Eine weitere Basis ihres wirtschaftlichen Erfolgs, so Scheffknecht, stellte der Erwerb von Grund und Boden durch Heirat sowie der Aufstieg mittels familiärer Netzwerke dar. Der Habitus der frühen Lustenauer Stickerei-Fabrikanten zeigte sich vor allem in einem positiven Verhältnis zu Bildung und Schule, was Scheffknecht am Beispiel der 1903 gegründeten Kommunal-Handelsschule Lustenau erörterte. Ein weiteres, politisch aufgeladenes Betätigungsfeld lag in der Gründung von Gesangs- und Sportvereinen. Deren deutsch-nationale Ausrichtung stand dabei im unhinterfragten Widerspruch zur ausgeprägten Anglophilie der Stickereifabrikanten, die Geschäftsniederlassungen in England und den Vereinigten Staaten besaßen.

Über den in Ravensburg geborenen Unternehmer und „Großmäzen“ Julius Spohn (1841–1919) referierte ALFRED LUTZ (Ravensburg). Julius Spohn bildete bereits die dritte Generation einer – auch durch ökonomisch vorteilhafte Eheschließungen – erfolgreichen Kaufmanns- und Unternehmerfamilie, deren großväterliche Wurzeln auf der Schwäbischen Alb bei Ulm lagen. Das unternehmerische Handeln Spohns in den Jahren von 1866 – als er die väterliche Leinenspinnerei in Ravensburg übernahm – bis zu seinem Tod 1919 charakterisierte Lutz als gleichermaßen pragmatisch wie innovativ. So war Spohn nicht nur in der Textilfabrikation, sondern auch in der Zementherstellung tätig. Dass Julius Spohn sich als erfolgreichen Unternehmer sah, spiegele sich auch in dessen ganz aus Zement erbauten Ravensburger Villa, dem „Schlössle“ sowie dem repräsentativen Familiengrabmal. Parallel zu seiner unternehmerischen Tätigkeit war Spohn in der Ravensburger Bürgerschaft durch zahlreiche ehrenamtliche wie auch kommunalpolitische Ämter präsent. Seine emotionale Verbundenheit mit Ravensburg drückte sich in seinem Mäzenatentum aus, das der Stadt nicht nur einen repräsentativen Theaterbau, sondern auch ein nach zeitgenössischem Maßstab sehr modernes Schulgebäude einbrachte.

FRANK BRUNECKER (Biberach) stellte am Beispiel von Hans Liebherr (1915–1993) die Frage nach dem Typus des charismatischen Unternehmers und zeichnete dazu sowohl dessen biographischen Werdegang als auch die Firmenentwicklung vom elterlichen Baugeschäft zum weltweit agierenden Baumaschinen-Konzern nach. Bemerkenswert erschien dabei, dass Hans Liebherr kein studierter Ingenieur war, wie die von seiner Firma entwickelten Kranen und Baufahrzeuge vermuten ließen, sondern ein gelernter Maurermeister. Von der Belegschaft und in der Bevölkerung sei er als bodenständiger, zupackender und seiner Intuition folgender „kongenialer Erfinderunternehmer“ wahrgenommen worden, um dessen Persönlichkeit sich schon zu seinen Lebzeiten Legenden bildeten. Im Kontrast dazu fiel auf, dass die Ehefrau sowie die Kinder Hans Liebherrs in der Außenwahrnehmung der Firmengeschichte so gut wie nicht in Erscheinung traten. Ob dies hauptsächlich den männlich geprägten Vorstellungen von Unternehmertum in der Nachkriegszeit geschuldet ist und was die „Mythenbildung“ um Hans Liebherr für Rückschlüsse auf Ideale von Unternehmertum zulässt, waren die abschließend zur Diskussion gestellten Fragen.

CHRISTINE WERKSTETTER (Vellberg) eröffnete die Sektion II „Familie und andere Bande: Entwürfe von Unternehmertum“, in dem sie am unternehmerischen Werdegang der Augsburger „Handelsfrau und Zitzfabrikantin“ Anna Barbara Gignoux (1725–1796) exemplarisch aufzeigte, welche Fallstricke durch Eheschließung und Witwenstand wirtschaftlich ambitionierten Frauen im 18. Jahrhundert drohten. Während Anna Barbara mit ihrem ersten Ehemann als „Arbeitspaar par excellence“ die vom Schwiegervater übernommene Kattunmanufaktur gemeinschaftlich betrieb, kam es bei ihrer erneuten Heirat zu tiefgreifenden rechtlichen Auseinandersetzungen sowohl um die Führung als auch das Vermögen der Gignouxʼschen Firma. Insbesondere die rechtliche Institution der Ehevogtei wurde häufig zum Nachteil der Frau instrumentalisiert, während das Witwenrecht die Chance auf alleinige Weiterführung einer Firma bot. Anna Barbara Gignoux gelangte schließlich über eine vor Gericht erkämpfte Scheidung von ihrem insolventen und vor seinen Gläubigern flüchtenden zweiten Ehemann wieder in den Besitz ihres Unternehmens.

MARK HÄBERLEIN (Bamberg) sprach über die „Selbstverortungen Augsburger Unternehmer“ vom 16. bis ins späte 18. Jahrhundert und nahm dabei vor allem deren verschiedene Formen medialer Selbstinszenierung in den Fokus. Als ephemere Praktiken spielten insbesondere Festlichkeiten wie beispielsweise Hochzeitsfeiern eine bedeutende Rolle. Andererseits lasse sich die Selbstdarstellung patrizischer Kaufmannsfamilien sehr gut an deren Ehren- oder Familienbüchern ablesen. Öffentlichkeitswirksam wurde die Familiengeschichte hauptsächlich dann, wenn sie im Druck erschien, wie dies bei der Augsburger Familie Sulzer 1736 der Fall war. Obwohl sich in einzelnen dieser Familiengeschichten auch persönliche Beschreibungen von kaufmännischen Tugenden wie Bereitschaft zur Mobilität, Fremdspracherwerb, Gehorsam, Ausdauer und Fleiß finden lassen, so dienten sie, so Häberlein, doch vorrangig der ständischen und nicht der beruflichen Verortung. Eine weitere Möglichkeit unternehmerischer Selbstinszenierung bestand in der Stiftungstätigkeit. Diese besaß im reichsstädtischen Augsburg eine große Tradition, insbesondere durch die Familie Fugger.

Im Unterschied zu den bisher vorrangig behandelten Großkaufleuten und Unternehmern widmete JULIETTA SCHULZE (Tübingen) ihren Vortrag den kleinen Kaufleuten oder „Krämern“ und gewährte dabei einen Einblick in ihr aktuelles Dissertationsprojekt, das sich mit den Netzwerken württembergischer Einzelhändler in der Zeit von 1700–1850 befasst. Als Quelle zur Erforschung des städtischen Einzelhandels dienten ihr hauptsächlich Inventuren und Teilungen sowie seriell vorhandene Steuereidbücher. Im Vergleich der Städte Wangen und Riedlingen konnte Schulze sowohl Unterschiede hinsichtlich der Spezifizierung der jeweiligen Warensortimente als auch der Bevorzugung bestimmter Handelsrouten herausarbeiten. Weitere Betätigungsfelder von Einzelhändlern lagen im Zwischenhandel mit den Landkrämern, im Bargeldleihen und -anlegen bei Privatpersonen und Institutionen sowie in protoindustriellen Projekten wie beispielsweise dem Betrieb einer Ölmühle oder Wachsgießerei.

Mit dem Vergleich von adligem und bürgerlichem Unternehmertum in Oberschwaben um 1800 setzte sich ANNE SOPHIE OVERKAMP (Tübingen) auseinander. Im Mittelpunkt ihrer Überlegungen standen dabei die Ehrvorstellungen der verschiedenen wirtschaftlichen Akteure. Hierbei wurde deutlich, dass sich adelige wie bürgerliche Unternehmer an erster Stelle um die Erhaltung ihres „Kredits“ im Sinne von persönlicher Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Zahlungsfähigkeit bemühten. Erst an zweiter Stelle habe das Streben nach „Profit“ gestanden. Eine bedeutende Rolle beim Aufbau und Erhalt der Kreditwürdigkeit kam dabei der informellen Institution Familie zu, die gerade bei bürgerlichen Kaufmannsfamilien enge Verknüpfungen mit der eigenen Firma aufwies, indem deren Buchführung beispielsweise keine Unterscheidung zwischen Privat- und Firmenvermögen kannte. Familienmitglieder, die zu verschwenderisch auftraten oder zahlungsunfähig waren, wurden familieninternen Insolvenzverfahren unterzogen oder auch enterbt. Diese gleichermaßen beim Adel wie beim Bürgertum beobachtbaren Vorgänge sicherten die familiale Kreditwürdigkeit und stellten somit indirekt eine „Ordnungsleistung“ für die Wirtschaft dar.

Dass Adelige als Unternehmer im „bürgerlichen Zeitalter“ auch im Raum Oberschwaben eher eine Ausnahme denn Regel darstellten, konstatierte MANFRED RASCH (Bochum). Seine Analyse der 13 reichsten in Oberschwaben begüterten Adeligen in der Zeit von 1806 bis 1918 zeigte vor allem die Bedeutung des Grundbesitzes für deren Wirtschaftstätigkeit auf: Die Schwerpunkte lagen dabei erwartungsgemäß in der Land- und Forstwirtschaft sowie den damit verbundenen Nebenbetrieben wie beispielsweise Brauereien, Brennereien und Molkereien. Zusätzlich zeitigte die industrielle Verwertung des Rohstoffes Holz eigens dafür gegründete Glashütten, Papierfabriken und Torfwerke. Übereinstimmendes Merkmal des auf Grundbesitz basierenden Wirtschaftens der Adligen sei eine zwar geringe, dafür aber sichere, weil mit wenig unternehmerischen Risiken behaftete Rendite gewesen.

In einem engen Beziehungsgeflecht aus Wirtschaft und Politik verlief die Karriere des im württembergischen Allgäu beheimateten Guts- und Brauereibesitzers Oskar Farny (1891–1983), welche ROBERT SCHMIDTCHEN (Bayreuth) vom Beginn der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus und die unmittelbare Nachkriegszeit bis zum Beginn der 1960er-Jahre entlang dessen zahlreicher politischen Ämter schilderte. Dabei fiel auf, dass es Farny – sei es als Landtags-, Reichstags- oder Bundestagsabgeordneter – trotz der wechselnden Herrschaftssysteme immer wieder gelang, auf die politische Bühne zurückzukehren. Eine nicht unerhebliche Rolle spielten dabei seine auf gegenseitigem Nutzen beruhenden Beziehungen zu führenden Politikern, die sich wiederholt für ihn einsetzten, obwohl ihm der Makel anhaftete, für die NSDAP kandidiert zu haben. Ähnlich wie der bereits vorgestellte Unternehmer Julius Spohn verstetigte Farny in seinen späten Lebensjahren seine regionale Verbundenheit mit dem Allgäu durch eine Stiftung.

Mit der Frage, ob denn der „Tüftler“ typischerweise ein Oberschwabe sei, beschäftigte sich GEORG ECKERT (Freiburg). Dabei stellte er fest, dass es sich bei diesem Narrativ um eine Projektion des 19. und 20. Jahrhunderts handle. Bereits in den württembergischen Oberamtsbeschreibungen könne eine Verdichtung der Tüftler-Erzählung festgestellt werden, indem Erfindungen und Fortschritte in der Maschinenfabrikation besonders herausgestellt und mit den intellektuellen sowie wissenschaftlichen Befähigungen von Werkführern und Unternehmern begründet wurden. Am Beispiel der Firmen Magirus, Kässbohrer, Weishaupt und Hymer zeigte Eckert die teils ähnlichen Ausgangslagen und Entwicklungsschritte der einzelnen Unternehmen hin zu ihren speziellen Patenten auf. Dabei ließen sich zahlreiche Übereinstimmungen feststellen, wie der anfänglich eher bescheidene Kapitaleinsatz der Firmen, die Weiterentwicklung der Produkte aus vertrauten Materialien sowie das Anknüpfen an bestehende Familientraditionen. Laut Eckert könne das Narrativ vom (ober-)schwäbischen Tüftler als regionale Adaption einer from rags to riches-Erzählung verstanden werden, die deshalb so erfolgreich sei, weil sie sowohl Handlungsmotivation für den Einzelnen als auch gesellschaftlichen Konsens stifte – komme es doch nicht so sehr auf Kapital als vielmehr auf gute Ideen an.

Den zweiten Tagungstag beschloss ein öffentliches Podiumsgespräch, das den thematischen Bezug in die Gegenwart erweiterte. Alexa Hüni, Hanna-Vera Müller und Lothar Arnold sprachen als Vertreter:innen ihrer Unternehmen über die Spezifika des oberschwäbischen Wirtschaftsraums und zeigten sowohl dessen Standortvorteile als auch -nachteile auf. Die abschließende Frage nach dem typisch Oberschwäbischen an den jeweiligen Unternehmen konnte allerdings spontan nicht beantwortet werden. Sie sollte in der Abschlussdiskussion der Tagung erneut diskutiert werden.

Unter dem Motto der abschließenden Sektion III „Die weite Welt und Oberschwaben: Kontaktzonen und Netzwerke“ setzte sich MAGNUS RESSEL (Frankfurt am Main / Bremen) mit der Unternehmensgeschichte der schweizerisch-oberschwäbischen Handelsfirma Gonzenbach & Specht, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts im internationalen Leinwandhandel reüssierte, auseinander. Ausgangspunkt der Handelsaktivitäten war die am Südufer des Bodensees liegende Stadt Arbon (Thurgau), von wo aus der Warenvertrieb nach Lyon, dem wichtigsten Absatzmarkt für schweizerische Leinwand, erfolgte. Eben dort gründete der St. Galler Bürger J. H. Gonzenbach 1710 eine Firma zum Leinwandhandel, die just in dem Moment ihren Geschäftsradius bedeutend erweiterte, als der protestantische Ravensburger Kaufmann Loth Specht 1717 in die Firma eintrat. Dieser hinterließ eine umfangreiche Geschäftskorrespondenz, die, so Ressel, den Einstieg in eine Art „Globalhandel“ aufzeigt. Gleichzeitig unterstreiche die kaufmännische Korrespondenz den zentralen Wert des gegenseitigen Vertrauens, bei dem die Konfessionszugehörigkeit des Geschäftspartners – wenngleich unausgesprochen – eine bedeutsame Rolle gespielt habe.

Nicht minder erfolgreich gestaltete sich die Handelstätigkeit „Kemptener Fernhändler in Triest“ vom 18. bis ins 19. Jahrhundert, deren Hauptakteure, verwandtschaftlichen Beziehungen, wirtschaftliche Grundlagen und Handelswege WOLFGANG PETZ (Kempten) insbesondere am Beispiel der Kaufmannsfamilien Oesterreicher und Dumreicher aufzeigte. Diese hatten frühzeitig das besondere wirtschaftliche Potential, das in einem Ausbau des deutschen Fernhandels mit Oberitalien und von dort in die ganze Welt lag, erkannt und ließen sich dazu in der von den Habsburgern geförderten Hafenstadt Triest nieder. Petz betonte vor allem den wirtschaftlichen Erfolg sowie die Persistenz der Kemptener Handelshäuser in Triest – insbesondere durch den Leinwandhandel – und führte dies neben dem Vermeiden riskanter Wirtschaftszweige hauptsächlich auf die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Großhandelsfamilien zurück, die ihren kaufmännischen Nachwuchs verstärkt aus Kempten rekrutierten, was sowohl soziale Aufstiegsmöglichkeit als auch familiäre Rückbindung bedeutete.

Die Sektion III abschließend thematisierte KARL BORROMÄUS MURR (Augsburg) die internationalen Netzwerke Augsburger Textilunternehmer im Zeitalter der Industrialisierung und zeigte dabei die Veränderungen und zunehmenden Handelsrisiken auf, mit denen Textilfabrikanten im Verlauf des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert umzugehen hatten. Während im Vergleichszeitraum von 1760–1800 hauptsächlich vertrauensvolle und persönliche Netzwerke die weitgehend über den Mittelmeerraum laufenden Handelsbeziehungen absicherten, brachten rund ein Jahrhundert später die Verlagerung des internationalen Baumwollhandels in den atlantischen Raum – mit den USA als Hauptlieferanten von Baumwolle – sowie die Beschleunigung, aber auch Manipulationsmöglichkeiten des Marktgeschehens durch neue Transport- und Kommunikationsformen immer größere Geschäftsrisiken mit sich. Zur Schaffung von Sicherheiten griffen die deutschen Textilunternehmer daher zu neuen Formen der Institutionalisierung und Selbstorganisation beispielsweise durch die Gründung von Verbänden sowie die Etablierung einer eigenen Baumwollbörse.

In der Abschlussdiskussion führte DIETMAR SCHIERSNER (Weingarten) die zentralen Ergebnisse der Tagung sowohl bezüglich des Raumbezugs Oberschwaben als auch der vorgestellten Wirtschaftsakteure zusammen. Dabei verwies er auf die definitorischen wie auch phänomenologischen Stolpersteine hinsichtlich des Unternehmerbegriffs, dessen weibliche Seite noch deutlich unterbelichtet sei. Vorgeschlagen wurde daher, statt einer verstärkt personenzentrierten Herangehensweise – der zudem ein teils unreflektiertes Männerbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Nachkriegszeit zugrunde liege – stärker den Anteil der Familie und damit der Frauen, Kinder und Verwandten – auch im Sinn von Netzwerken – in den Blick zu nehmen. Lebhaft diskutiert und letztlich offen blieb zudem die Frage, inwieweit die vorgestellten Akteure über ein spezifisch oberschwäbisches Regionalbewusstsein als Element ihres persönlichen Unternehmertums verfügten. Zur Anregung weiterer Forschungen wurde daher eine Umkehr der Betrachtungsrichtung angeregt, die in folgende Fragen münden könnte: Was verrät die regionale Zuschreibung über die Region, die sich dafür empfänglich zeigt, und wie prägten die im Raum Oberschwaben angesiedelten Wirtschaftsakteure die sie umgebende Region sowohl materiell als auch immateriell?

Konferenzübersicht:

Johannes Kuber (Stuttgart): Begrüßung

Einführung in das Thema

Georg Eckert (Freiburg): Wirtschaftskulturgeschichte regional. Konzeptionelle Bemerkungen

Boris Gehlen (Stuttgart): „Der Unternehmer“: Funktion, Topos, Narrativ? Die historische Unternehmerforschung und ihre methodischen Herausforderungen

Sektion I: Oberschwaben und die weite Welt: Unternehmertum als Praxis

Wolfgang Scheffknecht (Lustenau): Globalisierung und Nationalisierung. Die frühen Lustenauer Stickereifabrikanten – Katalysatoren des politischen und kulturellen Wandels einer Bauerngemeinde?

Alfred Lutz (Ravensburg): Geheimer Kommerzienrat und Großmäzen. Julius Spohn (1841–1919)

Frank Brunecker (Biberach): Zum Typus des charismatischen Unternehmers in der Zeit des „Wirtschaftswunders“. Hans Liebherr (1915–1993) ¬– Der Kran von Biberach

Sektion II: Familien- und andere Bande: Entwürfe von Unternehmertum

Christine Werkstetter (Vellberg): Anna Barbara Gignoux (1725–1796). Von der „Hausmutter“ zur „Handelsfrau und Zitzfabrikantin“

Mark Häberlein (Bamberg): Von Jakob Fugger bis Johann Gottlieb Klaucke. Selbstverortungen Augsburger Unternehmer

Julietta Schulze (Tübingen): Molton aus Frankfurt, Kaffee aus Memmingen und Seide aus Konstanz. Netzwerke württembergischer Einzelhändler/-innen, 1700–1850

Anne Sophie Overkamp (Tübingen): Um der Ehre der Familie willen. Adeliges und bürgerliches Unternehmertum in Oberschwaben um 1800

Manfred Rasch (Bochum): Adelige Unternehmer im bürgerlichen Zeitalter. Beispiele aus Oberschwaben

Robert Schmidtchen (Bayreuth): „Ich bin Statthalter von fast 2.000 Bauern“. Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung Oskar Farnys

Georg Eckert (Freiburg): Der „Tüftler“ – ein Oberschwabe?

Öffentliches Podiumsgespräch: Zwischen regionaler Verwurzlung und globalem Wachstum. Unternehmertum in Oberschwaben heute

Teilnehmer:innen: Lothar Arnold / Alexa Hüni / Hanna-Vera Müller
Moderation: Paul Kreiner

Sektion III: Die weite Welt und Oberschwaben: Kontaktzonen und Netzwerke

Magnus Ressel (Frankfurt am Main/Bremen): Die Erben der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft. Gonzenbach und Specht in Lyon und ihr Engagement im Globalhandel des frühen 18. Jahrhunderts

Wolfgang Petz (Kempten): Vom Allgäu an die Adria. Kemptener Fernhändler in Triest (1720–1815)

Karl Borromäus Murr (Augsburg): Internationale Netzwerke Augsburger Unternehmer im Zeitalter der Industrialisierung

Dietmar Schiersner (Weingarten): Linien und Perspektiven. Impulse für die Abschlussdiskussion